Bundesamt für Kartographie und Geodäsie

Satelliten beobachten auf Spitzbergen

Walter Hoppe war von 1969 bis 2011 Vermessungsingenieur am BKG. Er erinnert sich, wie er den Winter 1970/71 auf Spitzbergen erlebt hat.

Eingestiegen bin ich beim damaligen IfAG 1969 im Bereich Satellitengeodäsie. Wir betrieben eine Station in Kloppenheim bei Frankfurt, auf dem Gelände des Wasserwerkes. Dort war eine ballistische Kamera aufgebaut, mit der wir nachts Satellitenbahnen fotografiert haben.

Um diese Zeit gab es das Internationale Astro-Geo-Projekt Spitzbergen, dessen Ziel es war, Spitzbergen mit Hilfe der Satellitentriangulation an das europäische Festland anzuschließen. Außerdem sollten die Daten auch in das North American Densification Program einfliessen, ein Verdichtungsprogramm, für das zur selben Zeit in Alaska und Kanada gemessen wurde. Es wurden Freiwillige gesucht, die auf Spitzbergen überwintern würden, um die Satellitenbeobachtungen zu machen. Diese Freiwilligen waren Dr. Gerhard Soltau und ich. Er kam von der wissenschaftlichen Seite und ich hatte in Kloppenheim schon praktische Erfahrung mit der ballistischen Kamera gesammelt.

Auf in den Norden
Also sind wir am 25. September 1970 losgefahren: Mit der Bahn bis Oslo, dann weiter nach Mo i Rana. Unsere Ausrüstung wurde mit einer Spedition dort hingebracht, alles auf einen Kohlefrachter verladen und mit dem sind wir dann über tausend Kilometer nach Longyearbyen geschippert. Für die letzte Etappe nach Ny Alesund sind wir nochmal auf das Gouverneursschiff "Nordsyssel" umgestiegen; alles in allem waren wir zwei Wochen unterwegs.

Der Ort Ny Alesund war Anfang des 20. Jahrhunderts gegründet worden, um Kohlevorkommen abzubauen. In den 1960ern wurde der Tagebau aufgegeben und die Kongsfjord Telemetriestation eingerichtet, ungefähr zwei Kilometer vom Ort entfernt. Die ESA betrieb dort zwei Radioteleskope, um Satellitenaufnahmen zu machen und das norwegische Polarinstitut hatte dort auch eine Forschungsstation. Im Winter waren gute zwanzig Leute in der Siedlung, alles Norweger, und eben wir beiden Deutschen.

Ein Radioteleskop der Kongsfjord Telemetriestation auf Spitzbergen Radioteleskop der Kongsfjord Telemetriestation auf Spitzbergen, Quelle: Jerzy Strzelecki via Wikimedia Commons

 Vor Ort angekommen haben wir dann als erstes Kabel verlegt und Bretter zusammengeschraubt für eine Schutzhütte. Die beweglichen Teile der Kamera waren zwar mit Silkionfett geschmiert und sie war extra mit kältefesten Kabeln ausgerüstet worden; sie musste aber trotzdem vor Schnee und Kälte geschützt werden.

Foto der ballistischen Kamera in der Kamerahütte Die ballistische Kamera in ihrer Hütte (c) BKG, Gerhard Soltau

Wir arbeiteten mit einer BC-4 von Wild-Herbrugg, die wir von der TU München ausgeliehen hatten. Sie musste auch absolut stabil stehen, aber ein Betonfundament konnten wir wegen der Kälte nicht gießen. Am Ende haben wir eine große hölzerne Kabeltrommel zurechtfrisiert. Wir haben so lange Steine darunter geschoben, bis die Kamera in der Waage war.

Ballistische Kamera BC-4 Ballistische Kamera BC-4, mit freundlicher Genehmigung von Jürg Dedual, Wild Heerbrugg

Damit haben wir dann den Satelliten PAGEOS angepeilt und unsere Beobachtungen gemacht, genau so wie wir das aus Kloppenheim kannten. Dafür mussten wir uns streng an den Zeitplan halten, der mit den anderen Stationen in Europa und in Kanada abgestimmt war, weil die Messungen nur dann Sinn ergaben. Das Zeitsignal haben wir zunächst vom Zeitzeichensender DCF77 in Mainflingen bekommen, der auch heute noch die meisten Funkuhren in Europa mit der offiziellen Uhrzeit Deutschlands versorgt. Das Signal war aber sehr störanfällig. Später konnten wir dann vom US Coast and Geodetic Survey eine Loran-C Anlage ausleihen, die war viel zuverlässiger. Das Wetter musste natürlich auch stimmen, denn wir konnten nur bei klarem Himmel fotografieren. Insgesamt haben wir 108 Pageos-Durchgänge aufgenommen, davon 73 simultan mit Stationen in Kanada, Norwegen, Grönland, Alaska und Großbritannien.

Foto des Büroarbeitsplatzes in Ny Alesund Arbeitsplatz im Bürohaus, (c) BKG, Gerhard Soltau

Die Aufnahmen wurden auf Fotoplatten aus Glas gespeichert, die wir gleich vor Ort entwickelt haben. Daraus haben wir näherungsweise Aufnahmedaten bestimmt und per Fernschreiber nach Frankfurt geschickt. Die detaillierte Auswertung passierte dann aber erst nach unserer Rückkehr in Deutschland mit einem Komparator.

Ausschnitt aus einer Strichspuraufnahme eines Satellitendurchgangs Ausschnitt aus einer Strichspuraufnahme eines Satellitendurchgangs, (c) BKG, Walter Hoppe. Die Pfeile zeigen auf die Punkt-Linie des Satelliten


Die Fotos wurden zehn Minuten lang belichtet. Die Sterne werden deshalb ein bisschen unscharf als Kreissegmente abgebildet, der Satellitendurchgang als gerade Linie, die aus einzelnen Punkten zusammengesetzt ist. Aus allen Aufnahmen zusammen konnte dann die Bahn des Satelliten berechnet werden. Am Ende kam dabei ein weltweites Netz mit einer Genauigkeit von plus minus zehn Metern heraus, das war für die damalige Zeit schon sehr beachtlich.

Englisch lernen in der Polarnacht
Die Arbeitssprache war Englisch und das war schon eine ziemliche Herausforderung. Ich kam da mit meinem Schulenglisch an, während es für die Norweger ganz normal war, Englisch zu sprechen. Das war dann so eine Art Intensiv-Sprachkurs, denn wir verbrachten ja auch unsere Freizeit mit den norwegischen Kollegen. Es waren ausschließlich Männer, Frauen gab es damals keine auf der Forschungsstation; deshalb hieß die Unterkunft auch das „Bachelor-Haus“. Wenn es Filme zu sehen gab, waren die entweder Englisch synchronisiert oder mit Untertiteln. Meistens haben wir unser Unterhaltungsprogramm aber selbst gestaltet, mit Ratespielen, Musik oder Geschicklichkeitsspielen wie Tischkegeln. Lesen stand natürlich auch hoch im Kurs, denn die Polarnacht ist lang.
Damals gab es noch keine Digitaluhren, sondern nur analoge. Wenn beide Zeiger oben standen wusste man zwar, dass es zwölf Uhr ist, aber nicht ob mittags ober nachts. Da half es dann, vor die Zimmertür zu gucken: Wenn der Flur voller Schuhe stand war klar, dass es Nacht ist und alle in den Betten liegen.

Im Auge des Eisbären zum Telefon
Die Station waren natürlich mit allem ausgerüstet, was man für das Leben in der Polarregion so braucht, zum Beispiel einem Ski-Doo Motorschlitten. Auf dem haben uns die Norweger gelegentlich zu Ausflügen mitgenommen. Wir hatten so etwas ja noch nie gesehen, eine Landschaft völlig ohne Baum und Strauch, nur Steine und Schnee.
Es wäre für uns auch gar nicht ratsam gewesen, die Siedlung ohne norwegische Begleitung zu verlassen. Die Kollegen hatten nämlich Gewehre, um sich im Notfall gegen Eisbären zu verteidigen und wir nicht. Die wöchentliche Wanderung vom Bachelorhaus zur ESA-Station war schon riskant, denn auch dabei hätten wir auf Eisbären treffen können. Im Jahr zuvor war einer in die Siedlung eingedrungen und musste leider erschossen werden. In der Station war aber das Telefon, mit dem wir einmal die Woche für eine Viertelstunde mit unseren Familien telefonieren durften. Der Anruf wurde nach Oslo durchgestellt und dann vom "Fräulein vom Amt" nochmal umgestöpselt, bis der Anruf endlich in Deutschland ankam.
Der Koch und der Pilot hatten zwar keinen Forschungsauftrag, waren aber sehr wichtig für das Team. Nachdem das Nordmeer zugefroren war, konnten keine Schiffe mehr fahren und dann wurde die Station nur noch aus der Luft versorgt. Erst musste das Eis in Longyearbyen dick genug werden, dass ein Flugzeug landen konnte; dann flog die sechssitzige Cessna einmal pro Woche die 100 Kilometer dorthin, um die Post zu holen und eben alles, was wir auf der Station so brauchten.
Auf diesem Weg habe wir Spitzbergen dann auch im Frühjahr verlassen; mit der Cessna nach Longyearbyen, weiter nach Tromsø und an Ostern 1971 waren wir nach sechs Monaten wieder zuhause. Unsere Ausrüstung brauchte ein bisschen länger, die kam per Schiff nach und erreichte Frankfurt im Juli 1971.

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Details zum Messverfahren und dem wissenschaftlichen Hintergrund finden sich in der Publikation "Optische Satellitenbeobachtungen in Ny Alesund, Spitzbergen 1970/71" von Gerhard Soltau.