Bundesamt für Kartographie und Geodäsie

Acht Millisekunden bis zum Satelliten und zurück

Am 8. April 1973 wurde von Wettzell aus zum ersten Mal in Deutschland mit einem Laser die Entfernung zu einem Satelliten gemessen.

„Über Wettzell hat sich ein Loch in der Wolkendecke gebildet, in dem Sterne blinken,“ sagt Walter Hoppe zu seinen Kollegen am späten Abend des 7. April 1973.
Schnell machen sich die vier Männer auf den Weg zur Satellitenbeobachtungsstation Wettzell. Seit sechs Monaten versuchen sie, die Entfernung zum Satelliten GEOS-A zu messen, den die NASA 1965 ins All gebracht hatte.

Warum Wettzell?
Ein Dörfchen im hintersten Winkel Bayerns, fast schon in Tschechien, ist kaum der Ort für bahnbrechende wissenschaftliche Experimente, sollte man meinen. Dabei ist es gerade die Abgeschiedenheit, die Wettzell für Erdvermesser so attraktiv macht. Weit weg von den Metropolen gibt es in den 1970er Jahren kaum Lichtverschmutzung; außerdem ist genügend Platz für eine zehn Kilometer lange Bodenteststrecke, auf der die Messgeräte kalibriert werden können. Am wichtigsten ist aber die Ruhe am Himmel. So nahe an der Grenze zum Ostblock manifestiert sich der Eiserne Vorhang in einer Flugüberwachungszone. Jedes Flugzeug, das den Luftraum hier durchqueren will, muss sich eine Stunde vorher anmelden und den Überflug genehmigen lassen. So besteht kein Risiko, dass der Laserstrahl in den Himmel versehentlich den Flugverkehr stört.
Damit liegt Wettzell klar im Vorteil gegenüber Kloppenheim – zu nahe am Frankfurter Flughafen und dem Truppenübungsplatz Baumholder – zu nahe am amerikanischen Militärflugplatz Ramstein.
Im April 1970 machen sich Vertreter des BKG auf den Weg in den Bayerischen Wald, um dort die Lage zu sondieren, weil in Hessen und Rheinland-Pfalz kein geeigneter Standort für eine Satellitenbeobachtungsstation zu finden ist.

Nach nur wenigen Wochen ist der Pachtvertrag für das Gelände außerhalb von Wettzell unterschrieben, ein Jahr später steht das erste einfache Holz-Fertighaus.

Die Technik
Im September 1972 wird das Messsystem geliefert: Ein wassergekühlter Rubinlaser von Siemens, ein Empfangsteleskop und ein Leitfernrohr, montiert auf eine ehemalige Flugabwehrlafette. Die Satelliten werden visuell angepeilt, der Laser sendet alle 7 Sekunden einen 30 Nanosekunden langen Impuls aus, der am Satelliten reflektiert wird. Die wenigen Lichtimpulse, die vom Reflektor zurückkommen, sollen vom Empfangsteleskop an einen hochempfindlichen Detektor geleitet und vom Fotomultiplier in ein elektronisches Signal umgewandelt werden. Das Laserlicht braucht nur wenige tausendstel Sekunden von Wettzell bis zum Satelliten und wieder zurück; gemessen wird das mit einem Zeitzähler, der die Sekunde auf die zehnte Stelle hinter dem Komma genau registriert.
Mit der neuen Ausrüstung macht das Team Kalibriermessungen auf der Teststrecke am Boden und beginnt, die Messung zu den Satelliten zu trainieren. 

Ein Mann sitzt auf der Lafette, die zur ersten Laser-Entfernungsmessung zu einem Satelliten benutzt wurde Laser-Lafette und der Beobachter sind bereit zum Einsatz

Das Team
Dazu wird das Dach des Gebäudes aufgeschoben, damit der Blick in den Himmel frei ist. Walter Hoppe sitzt auf einem Stuhl auf der Lafette und schaut konzentriert in das Okular eines langen Fernrohrs. Er versucht, den von der Sonne mehr oder weniger angeleuchteten Satelliten zu sehen und genau im Fadenkreuz des Fernrohres zu halten. Dazu hat er ein Tableau auf dem Schoß, mit dessen Reglern er die Lafette simultan horizontal und vertikal nachführen kann. Wenn Hoppe die Sicht zum Satelliten verliert, oder sich eine Wolke vor sein Blickfeld schiebt, verlässt er sich auf Eberhard Billich. Der sitzt im Holzhaus vor einem Positioniergerät und stellt alle 30 Sekunden die Werte der vorausberechneten Bahn des Satelliten ein. Auf Knopfdruck kann Hoppe auf diese Werte zurückgreifen und die Lafette zur nächsten vorausberechneten Position der Satellitenbahn schwenken. Kurt Kuhl schleppt derweil Leitungsbündel durch die Gegend: Armdicke Hochspannungskabel, die das System mit Strom versorgen und Wasserschläuche, um den Laser zu kühlen. Die Lafette dreht sich schnell; Kuhl muss darauf achten, dass dabei die Versorgungsleitungen nicht abreißen. Rudolf Stöger justiert die empfindliche Elektronik. Er bestimmt die Uhrzeit, zu der ein Laserimpuls abgesendet wird, mit einer Atomuhr auf Zehntausendstelsekunden genau. Außerdem behält er die Zeitzähler im Auge, die die Laufzeit des Signals messen, und nach jedem Laserimpuls auf null zurückgesetzt werden müssen. Er ist es auch, der die Mannschaft darüber informiert, ob es sich um einen echten Treffer handelt.

Foto von den Messinstrumenten, die 1973 für die erste Entfernungsmessung zu einem Satelliten verwendet wurden. Die Messinstrumente Quelle: (c) Walter Hoppe

Das Messprinzip funktioniert nur bei Dunkelheit, wenn der Satellit von der Sonne angeleuchtet wird. Bei Wolken oder wenn sich der Satellit im Erdschatten bewegt, gibt es keine Chance. Im Winter 1972/1973 reisen die BKG-Mitarbeiter aus Frankfurt häufig für zwei Wochen nach Wettzell, um sich gemeinsam mit den bayerischen Kollegen wolkenlose Nächte um die Ohren zu schlagen – ohne Erfolg.

Die Nacht der Nächte
In der Nacht vom 07. April zum 08. April 1973 fliegt zwar der Satellit auf einer günstigen Bahn, aber der Himmel ist wieder einmal bewölkt. Frustriert genehmigen sich Hoppe, Billich, Kehres und Stöger ein Feierabendbier in der Pension Miethaner, dem Quartier der Frankfurter Gäste.
Mit dem Loch in der Wolkendecke öffnet sich eine neue Chance, die Entfernung zu GEOS-A zu messen. Die Sicht bleibt lange genug frei, dass die Männer die zwei Kilometer von der Pension zur Station fahren können, um die Messung vorzubereiten. Dann führen sie routiniert die Handgriffe durch, die sie so oft geübt haben. Um 03:11:00,8797 Uhr ist es soweit. Ein Laserimpuls kommt vom Reflektor zurück, wird empfangen und die Laufzeit des Laserlichtes registriert: 8,4210716000 Millisekunden. In den nächsten anderthalb Minuten folgen sechs weitere Treffer.

Beobachtungsprotokoll der ersten Entfernungsmessung zu einem Satelliten Das Protokoll der ersten Messung


Es ist das erste Mal, dass in Deutschland die Entfernung zu einem Satelliten mit einem Laserverfahren gemessen wird. Später wird aus den Werten berechnet, dass GEOS-A 1263 Kilometer von der Erde entfernt ist und die Strecke auf 1,5 Meter genau gemessen wurde.

In dieser Nacht wird der Grundstein für eine wissenschaftliche Erfolgsgeschichte gelegt. Heute gehört Wettzell zu den führenden geodätischen Observatorien weltweit. Die Entfernung zu den verschiedensten Satelliten wird heute immer noch gemessen, inzwischen millimetergenau.